Weihnachtsfeier im Altenheim
Charlotte Hofmann
«Der Kurti hat sich ‹n Daumen in da Dür quetscht. Der kann net spiel`n», sagt der Große.
«A geh zu», meint der Dicke.
«Ist mir auch schon passiert», hüstelt der Kleine.
«Mia soll’n für ihn übernehma», schnauft der Große. Dann erklärt er den anderen beiden, was Sache ist. Der Kurti mit seiner Quetschn hätt` die Weihnachtsfeier im Altenheim spielen sollen. Das wär` im Blechviertel gewesen, benannt nach Hans-Magnus Blech, einem berühmten Architekten der Gründerzeit. Zwischen reich verzierten Altbauten, wo die Großkopfert’n wohnen, liegt das Altenheim St. Elisabeth, berühmt für seine schlechte Küche, aber auch für sein herzliches Personal.
«Mia schaff’n des scho. A paar Weihnachtslieder singa, des is net schwer,» meint der Große.
«Wann’s gnug Glühwein vorher gibt, sing i jedes Lied,» grunzt der Dicke.
«Ich kann nicht, ich hab’s schon seit drei Wochen im Hals,» säuselt der Kleine. Der Dicke verdreht die Augen.
«Der Kurti hätt› an Hunni kriegt», meint der Große.
«Wir vielleicht an Fuffi, oder?», sagt der Dicke und haut dem Großen fröhlich auf die Schulter.
«Pro Mann oder für alle»?, fragt der Kleine.
«Nur für di alloa», lacht der Dicke.
«Das ist schon lustig, wenn sich ein Quetscher einen Daumen quetscht», philosophiert der Kleine.
Zwei Wochen später kommen die Drei mit einem Leiterwagen zum Altenheim St. Elisabeth. Drauf liegt eine Quetschn, die der Dicke von seinem Onkel geliehen hat. Das Tragl Bier steht gut versteckt unter einer Decke mit Weihnachtssternen. Einen Flachmann mit Obstler trägt der Dicke in seiner Brusttasche. Für alle Fälle. Man kann ja nie wissen.
Kurz vor vier gehen die Drei in den Aufenthaltsraum. Tische mit brennenden Kerzen, Plätzchenteller, dampfende Tassen, faltige, graue Gesichter.
«Bald schaun wir auch so aus», überlegt sich der Kleine.
«Scheißjob», denkt sich der Dicke. «Aber egal. Job is Job.»
Schwester Brigitte begrüßt die Drei und deutet in den Raum hinein: «Das sind unsere Senioren. Alle rüstig und fit.» Der Dicke hält das für einen Witz. Aber egal. An einem Tisch ganz hinten sitzen zwei, die kennt der Große aus dem Stüberl. Das eine ist der Laller. Der hat nur noch eineinhalb Beine und muss deshalb jetzt im Heim wohnen. Und warum der Schupfer daneben sitzt, kann sich der Große schon denken. Der hat immer was zum Saufen dabei, falls es eine Not gibt, und will seinem Spezl Gesellschaft leisten. Wahrscheinlich soll der Kinderpunsch auf dem Tisch gepuscht werden.
«Das ist kein Fehler», denkt sich der Große.
«Svenja, Tisch 17 hat noch keinen Plätzchenteller», ruft Schwester Brigitte durch den Saal. Die Altenpflegerin mit dem üppigen Ausschnitt setzt sich mit starkem Hüftschwung in Bewegung und greift nach einem gefüllten Teller auf dem Teewagen. Einer mit blauem Kittel nagelt eine locker herunterhängende Lichterkette fest. Der Dicke liest das Namensschild auf dem Arbeitskittel: B. Kowalski.
«Das muss der Hausmeister sein», denkt er sich. An einem der vorderen Tische schreit eine Grauhaarige mit kleinen Löckchen: «Mei Wagerl is› weg.» Schwester Brigitte beugt sich beschwichtigend über die gelockte Seniorin. Ganz hinten im Saal am Nebentisch vom Schupfer schreit einer: «Wird› des hait› no was?»
Schwester Brigitte richtet ihr Wort an die Anwesenden: «Weil unser Kurti erkrankt ist, übernehmen diese Herren heute unsere Adventsfeier. Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung.» Dann wendet sie sich an die Drei: «Bitte, also jetzt Ihr Auftritt, meine Herren.»
Der Dicke stellt sich in Positur und ruft laut: «Wir sind zu dritt. Das ist unser Auftritt.»
Was jetzt kommt, hat er sich ausgedacht. Die Alten werden bestimmt lachen. Wo sie doch sonst in dem tristen Heim nicht mehr viel zu lachen haben. Der Dicke zählt: «Eins, zwei, drei.» Danach heben alle drei das rechte Bein und stampfen laut auf. Keiner lacht.
«Das hat keiner verstanden», sagt der Kleine.
«Erzähl doch einen Witz!», fordert er den Dicken auf. Der fragt gleich in den Saal hinein: «Welches Spiel wird bei der Geburtstagsfeier eines Totengräbers gespielt?»
Niemand weiß eine Antwort. Der Dicke grinst: «Na klar. Das ist doch Sarghüpfen.» Schwester Brigitte zischt ihm zu: «Vielleicht mehr was Weihnachtliches!»
Der Dicke kratzt sich am Ohr und überlegt: «Am 2. Weihnachtsfeiertag fragt ein Mann seine Frau: Schatz, was gibt es denn heute zu essen? Die Frau antwortet: Nichts. Der Mann sagt: Aber das gab es doch schon gestern. Ja, sagt die Frau, aber davon ist noch was übriggeblieben.»
Von den hinteren Tischen hört man ein kräftiges Hoho. Der Große denkt sich: «Das kannt der Schupfer gwesn sei.»
Schwester Brigitte ruft: «Und jetzt wollen wir doch alle ein paar Weihnachtslieder singen.»
Da nimmt der Dicke die Quetschn und drückt sie dem Kleinen in die Arme. Der ist nämlich der musikalischste von allen, aber so gut kennt er sich auch nicht mit der Quetschn aus. Damit er mit der linken Hand den richtigen Knopf findet, hat er sich vorsichtshalber einen Kaugummi draufgeklebt. Wenn er auf den Kaugummiknopf drückt, kommt C-Dur. Das geht für jedes Lied gut. Die Drei beginnen mit Alle Jahre wieder, singen dann Ihr Kinderlein kommet und enden mit Oh, du fröhliche.
Der Dicke schlägt bei jedem Lied den Takt mit zwei Bierflaschen. Das macht Durst. Nach den drei Liedern stärken sich alle erst mal mit einem Bier.
Der Dicke rülpst laut und kräftig und meint dann, dass er jetzt noch Gedichte vortragen kann. Er holt ein dickes Buch aus seinem Leiterwagen und legt es auf den ersten Tisch.
«Da sind lauter Gedichte drin», sagt er stolz. «Und ich hab› sie vorgetragen.»
«Können Sie auch ein Gedicht rezitieren?», fragt Schwester Brigitte mit spitzem Mund.
«Freili», sagt der Dicke und beginnt:
«Hoho, draußen vom Wald da komm› ich her.
Der Weg war weit, mein Sack ist schwer.
Ich bring` euch gute Gaben.
Dran könnt` ihr euch erlaben.»
Von den hinteren Tischen hört man eine Stimme: «Wird› des heit no was Gescheit’s?»
Schwester Brigitte runzelt die Stirn und überlegt, wo die Weihnachts-CDs liegen, falls das hier nichts mehr wird. Der Große spürt, wie die Stimmung sinkt und bietet noch ein anderes Gedicht an:
«Der Christus ist geboren
Für Kinder und Senioren,
bringt allen Glück und Frieden,
den Könnern und den Nieten.»
Der Dicke öffnet für jeden nochmal eine Bierflasche. Von den hinteren Tischen kann man ein Kichern hören. Aber das hat wohl nichts mit dem Gedicht zu tun.
Es ist Svenja, die kichert. Sie hält eine Tasse, die ihr der Schupfer in die Hand gedrückt hat. Und weil sie so einen hochprozentigen Rum nicht gewohnt ist, taumelt sie langsam auf das Knie vom Schupfer.
«Mei Wagerl is weg», tönt es von einem der vorderen Tische. Die Grauhaarige mit den kleinen Löckchen steht auf und schaut sich suchend um. Schwester Brigitte drückt sie wieder vorsichtig auf den Stuhl.
Der Kleine versucht, die Stimmung zu retten, und spielt auf dem Tasteninstrument: Leise rieselt der Schnee.»
Allerdings kommt auf der Quetschn nur noch ein schrilles Quietschen heraus, weil der Kaugummi auf dem C-Knopf weich geworden ist und sich mit dem F- und dem B –Knopf verklebt. Der Dicke greift nach dem Flachmann mit dem Obstler, nimmt einen kräftigen Schluck und gibt die Flasche an den Großen weiter. Schwester Brigitte fängt laut an zu stöhnen, winkt dem Hausmeister Kowalski und deutet auf drei Rotweinflaschen, die auf dem Teewagen stehen.
«Schick sie heim! Das ist ja eine Zumutung.» Kowalski weiß, was zu tun ist. Er drückt dem Großen, dem Dicken und dem Kleinen eine Flasche Rotwein unter den Arm und schreit: «Uciekajcie,oszusci!»
«Was ist mit dem Fuffi?», fragt der Dicke und legt die Rotweinflasche auf den Leiterwagen.